Eigentlich sollte dieser Blogpost vor diesem „Aus dem Schöffenleben – ein Sicherungsverfahren“ online gehen. Deshalb auch die ausführlichere Erklärung zur „neuen“ Strafkammer:

Dieses Jahr ist alles anders. Also nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch als Schöffe. Meine Amtsperiode läuft ja von 2019 bis 2023. In den ersten beiden Jahren war ich in der Berufungskammer tätig. Was ich vorher nämlich nicht wusste, jedes Jahr wird man als Schöffe den verschiedenen Kammern zugelost. In der Berufungskammer landen immer die Fälle, die in erster Instanz (sprich Amtsgericht) bereits ein Urteil bekamen. Sollte das Urteil nicht den Erwartungen der Verteidigung und/oder der Staatsanwaltschaft entsprechen, so geht man in Berufung und es wird (meistens) neu verhandelt. In der Regel ist vorab schon einiges geklärt und die Urteilsfindung entsprechend schnell(er) abgeschlossen. So meine bisherigen Erfahrungen. In 2021 wurde ich nun der „Ersten Strafkammer“ zugelost. Zu Beginn wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Als dann die erste Ladung mit gleich vier Fortsetzungsterminen ins Haus flatterte, ahnte ich schon, dass es vielleicht auch „härtere“ Fälle sein werden. Dazu sollten man wissen, dass am Landgericht in der Regel Fälle verhandelt werden, bei denen eine Strafe von mindestens 4 Jahren zu erwarten ist.

Meine Ahnung bestätigte sich, als mein Mitschöffe und ich zum ersten Fall aufgeklärt wurden. Es ging um mehrfachen Einbruch, der auch schon einige Jahre zurück lag. Der Angeklagte bohrte vermutlich innerhalb weniger Minuten Fenster und Terrassentüren auf, um anschließend mit einem Gegenstand (evtl. dicker Draht) den Griff in die richtige Stellung zu bringen. Zack waren die Türen bzw. die Fenster offen und der Einbrecher drin. Da es in der Nacht geschah, blieb dies völlig unbemerkt. Und es spielte keine Rolle, ob es sich um Holz-, Kunststoff- oder Alufenster handelte. Warum ich Euch das so detailliert erzähle? Um zu zeigen, dass es innerhalb ganz weniger Minuten passieren kann und Ihr nichts davon mitkriegen müsst. Was aber Abhilfe schaffen kann, sind abschließbare Griffe. Die allerdings auch nur gegen Aufbohren helfen und kein „Allerweltsschutz“ sind. Natürlich kann man jetzt sagen „Wo ein Wille, da auch ein Weg“ und der Einbrecher kommt IMMER rein. Ja natürlich, aber je mehr Zeit er dazu benötigt, desto besser ist es bzw. desto eher fällt er auf. Als Tipp: Die Polizei bietet Beratungen zur Vorbeugung von Einbrüchen an. Bei einigen Geschädigten waren sogar Hunde im Haus, die nicht angeschlagen haben, bei einem Haushalt waren es sogar gleich 3 (mittlere/größere) Hunde. Was den Täter allerdings auch nicht hinderte, sogar ganz ohne Hundefutter-Bestechung.

Vier Verhandlungstage waren schon etwas Neues für mich. Am ersten Tag wurden die Geschädigten als Zeugen angehört. Allerdings hatte keiner etwas gesehen oder gar den Täter auf frischer Tat erwischt. Ein Zeuge hatte auf Grund vorheriger Einbrüche in seiner Umgebung (auf dem Dorf spricht sich so etwas schnell rum) eine Wildtierkamera installiert. Diese nahm mehrere Bilder und eine kurze Videosequenz auf, die einen ersten Hinweis auf den oder die Täter geben konnten. Viel mehr hatten die ermittelten Beamten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Gut, DNA-Spuren wurden gesichert, bis diese ausgewertet wurden, dauerte es aber noch etwas. Die Einbruchserie fand relativ abrupt ein Ende – vielleicht zog der/die Täter weiter?
Die Ermittler entschlossen sich, das Bildmaterial intern zu verbreiten. Der Gedanke daran war „Vielleicht erkennt jemand die Person“. Daraufhin meldete sich sogar eine Kollegin, die sich ziemlich sicher war, die Person am Gang erkannt zu haben. Diese Person wurde daraufhin überwacht – also mit Kreuzpeilung der Handyauswertungen, Rückverfolgung von Handydaten, Überwachung durch verschiedene Beamte und Anbringen eines Peilsendern am Fahrzeug. Aufgebaut auf einer reinen Vermutung! Es kam allerdings noch skurriler: Die Beamtin wurde von der Verteidigung als Zeugin geladen und es stellte sich heraus, dass sie die verdächtigte Person nicht selbst erkannt hatte, sondern anscheinend ein V-Mann, mit dem die Beamten schon längere Zeit zusammenarbeiten. Wie Ihr jetzt wahrscheinlich erwartet, kam heraus, dass der überwachte Verdächtige überhaupt nichts mit dem Fall zu tun hatte. Er bekam später einen Brief mit der Info, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden. Vermutlich ist er beim Öffnen aus allen Wolken gefallen! („Welche Ermittlungen?“) Im Nachhinein hat er dann Anzeige gegen unbekannt gestellt, die laut seiner Aussage eingestellt wurde. Was allerdings auch etwas merkwürdig ist, denn schließlich waren die aussagenden Personen intern doch bekannt.
Dieser Einschub ist daher unabhängig vom eigentlichen Fall, trotzdem finde ich persönlich es schon sehr bedenklich, dass quasi jeder von uns verdächtigt und somit auch überwacht werden kann, nur weil EINE Person eine Aussage „ziemlich sicher“ tätigt. Wenn ich es selbst nicht miterlebt hätte, würde ich das wahrscheinlich nicht glauben. Die Aussage „Sie hatten sonst keine Anhaltspunkte“ fällt mir nur schwer zu akzeptieren.

Zurück zum eigentlichen Fall. Die gesicherten DNA-Spuren wurden mittlerweile ausgewertet. Vielleicht sollte man halt auch das Bohrloch nicht „auspusten“, um es von Spänen zu befreien. 😉 Die gesammelten DNA-Spuren wurden in Deutschland auf mögliche Treffer in der Datenbank verglichen, leider ohne Treffer. Daraufhin wurden sie an Interpol übermittelt, wo es einen Treffer gab. In Belgien wurden ebenfalls Einbrüche verübt und ein Täter wurde gefasst. Nun war ein Name bekannt. Das Problem bei der Sache war nun wieder, dass dieser nicht mehr in Haft in Belgien war, sondern sich mittlerweile in Osteuropa aufhielt. Es wurde ein Auslieferungsantrag gestellt, dieser wurde aber (zuerst) abgewiesen. Erst auf einen erneuten Antrag (mit belastbarem Inhalt) wurde eine Auslieferung bewilligt. In Summe vergingen somit einige Jahre, bis es nun zur endgültigen Anklage kam.

Wie ging es nun weiter? Die DNA-Spur wurde nochmals überprüft und bestätigte sich erneut. Die Zeugen wurden alle gehört, verschiedene Gutachten usw. vorgetragen und dann die Beweisaufnahme abgeschlossen. Nun folgten die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft forderte insgesamt über 4 Jahre plus die Erstattung des Wertersatzes von über 13.000 Euro. Dies wurde damit begründet, dass in zwei Fällen DNA-Spuren sichergestellt wurden. Und zudem in den anderen Fällen die Indizien eindeutig für den gleichen Täter sprachen. Des Weiteren sagte der Angeklagte gleich zu Beginn der Verhandlung (als er zu seinen persönlichen Umständen gefragt wurde) „…dann ist das passiert, was passiert ist…“. Was als allgemeines Geständnis zu verstehen sei, so die Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung war natürlich anderer Meinung und zog nur die eindeutig beweisbaren (DNA-)Fälle heran zur von ihnen geforderten Strafe von 2 Jahren auf Bewährung. Zudem sollte auch die „Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ (§64) zur Bewährung ausgesprochen werden. Laut Verteidigung litt der Angeklagte zur Tatzeit an einem Suchtproblem. Dies konnte der Gutachter allerdings nicht bestätigen. Soweit zu den Plädoyers.
Wir zogen uns zurück und kamen zum Urteil: mehr als 4 Jahre und Erstattung des Wertersatzes, knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte alle zur Last gelegten Taten begangen hatte. Da er vorher bereits in Auslieferungshaft in Osteuropa saß, deren Umstände ungefähr den Haftbedingungen in Deutschland entsprechen, wird diese Zeit 1:1 angerechnet. Wobei eine Auslieferungsbedingung war, dass der Angeklagte im Falle einer Verurteilung die Haft in seiner Heimat absitzen kann. Das ist nicht unüblich, da verurteilte Straftäter sonst weniger Besuch u.a. von ihrer Familie bekommen.

Wie dem auch sei, sollte er keine Rechtsmittel (Revision) einlegen, wird er die Strafe absitzen und anschließend hoffentlich ein geregeltes und legales Leben führen. Apropos Rechtsmittel wie Revision – davon bekommen wir Schöffen in der Regel nichts mit – zumindest habe ich persönlich davon im Nachgang noch nichts mitbekommen.

Zu Beginn stellte ich mir übrigens (auch) die Frage: Warum werden so viele Verhandlungstage angesetzt, warum dauert das so lange? Zum Teil liegt es an der Strafprozessordnung aus dem Jahr 1879. Keine Angst, diese wurde im Laufe der Zeit natürlich angepasst. Ein wichtiger Punkt ist, dass der Angeklagte selbstverständlich immer alles mitbekommen soll. In unserem Fall verstand er kein Deutsch und deshalb wurde simultan übersetzt. Was beispielsweise bei einem DNA-Bericht natürlich nicht ohne ist. Ohne Vorbereitung (was oft der Fall ist), kann der Dolmetscher dies nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln. Also wird eine Pause eingelegt.
Ein weiterer Grund könnte sein, dass Staatsanwalt und/oder Verteidigung zwischendurch noch Beweisanträge einreichen. Diese müssen natürlich auch behandelt werden. Außerdem sind Zeugen manchmal doch etwas fortgeschritten im Gesprächsfluss. Summa summarum läppert es sich somit mit den Verhandlungstagen und so wurden aus den ursprünglichen vier Verhandlungstagen sogar fünf.
Auch wenn es manchmal vielleicht etwas nervig ist, bzw. die Dauer auf Unverständlichkeit trifft, lieber etwas länger verhandeln, um im anschließenden Urteil sicher zu sein. Wir sind hier schließlich ein Rechtsstaat und es gilt die Unschuldsvermutung.

Und falls jetzt jemand um die Ecke kommt mit „Wie kannst Du so viele Details ausplaudern?“, mal langsam durch die Hose atmen, es handelte sich um eine öffentliche Verhandlung, der jeder Interessierte zuhören kann. Was ich nicht ausplaudern darf und werde, ist unsere Beratung und Entscheidung, die zum Urteil geführt hat. Von daher erfahrt Ihr hier nur das, was Ihr selbst vor Ort hättet hören können.

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