Eingang Land- und Amtsgericht Schweinfurt

Vor ein paar Tagen führte mich der Weg wieder mal in den Gerichtssaal. Auf der Ladung waren ursprünglich zwei Termine angesetzt– der Verhandlungstag und ein Fortsetzungstermin. Kleiner Spoiler vorweg: Der zweite Tag wurde am Ende gar nicht gebraucht. Und trotzdem – es wurde ein langer Verhandlungstag.

Die Verhandlung:

Wie üblich, wurden die Schöffen kurz vor der Verhandlung vom zuständigen Richter über den Sachstand des Falls informiert. Und ja, es hätte ein kurzer Tag werden können. Ihr ahnt es vielleicht schon – es kam anders. Die Anklage umfasste gleich mehrere Anklagepunkte. Mehrfacher Drogen- und Medikamentenhandel (gewerbsmäßig), sexuelle Belästigung, Erschleichung von Leistungen und Diebstahl. Zudem stand der Angeklagte noch unter Bewährung. Augenscheinlich war die Beweislage erdrückend und ich war gespannt, wie sich der Tag entwickeln würde.

Wie in der Strafprozessordnung üblich, begann die Verhandlung mit der Verlesung der Anklage gefolgt von der Befragung des Angeklagten. Doch dieser gestand lediglich die Erschleichung von Leistungen und bestritt alle weiteren Vorwürfe. Zudem gab er an, stark alkoholabhängig zu sein, verheiratet und Vater von drei Kindern. Der vorsitzende Richter machte ihn mehrfach darauf aufmerksam, dass ein vollumfängliches Geständnis sich strafmildernd auswirken könnte. Ebenso bat sein Verteidiger um eine kurze Unterbrechung der Sitzung, um dies seinem Mandanten nochmals vor Augen zu führen. Doch der Angeklagte beließ es bei seiner Aussage, dass er „nur“ die Leistungen erschlichen habe, sonst nichts. Das ist natürlich sei gutes Recht, aber vielleicht bei einer erdrückenden Beweislage nicht wirklich eine kluge Entscheidung.

Die ersten Zeugen wurden angehört und es stellte sich relativ schnell heraus, dass der Angeklagte mit Drogen sowie Medikamenten gehandelt hat. Mehrere Zeugen (u. a. Zivilbeamte der Polizei) konnten dies beobachten und es wurde auch via Videoaufzeichnung bestätigt. Man könnte nun denken, dass der Punkt „Handel mit Drogen- und Medikamenten“ schnell abgehandelt wurde. Weit gefehlt, es handelte sich um mehrere, unterschiedliche Taten und somit um mehrere Zeugen. Denn es muss jede Tat einzeln nachgewiesen werden. Theoretisch ein Vorteil für den Angeklagten, wenn die Beweislage nicht ganz so erdrückend gewesen wäre.

Zwischendurch ereignete sich noch eine etwas kuriose Zeugenbefragung, was vielleicht sogar ein Nachspiel für diesen Zeugen haben könnte. Zeugen müssen vor Gericht die Wahrheit sagen. Außer sie belasten sich selbst, dann müssen sie nichts sagen, aber das war hier nicht der Fall. Der Zeuge gab an, dass er den Angeklagten zwar gesehen, aber keine Drogen/Medikamente bei ihm gekauft habe. Selbst wenn, wäre es für den Käufer keine strafrechtlich relevante Tat. Aber nein, der Zeuge bestand darauf, dass der Angeklagte nur Wechselgeld für einen Parkschein benötigt habe. Merkwürdig dabei war nur, dass der Angeklagte kein Auto besaß, keinen Parkschein löste UND sich der Zeuge noch zum Angeklagten auf eine Bank setzte. Das allein wäre schon wenig glaubwürdig gewesen. Ungünstig kam hinzu, dass die Szene von Zivilpolizisten beobachtet wurde. Dennoch blieb der Zeuge – trotz mehrfacher Nachfrage – bei seiner Aussage. Das könnte für ihn selbst noch ein Nachspiel haben, denn hier steht der Verdacht einer Falschaussage im Raum. Das obliegt allerdings nicht dem Gericht im Rahmen der konkreten Verhandlung, sondern die Staatsanwaltschaft entscheidet über eine Anklage wegen Falschaussage. Ob das passiert, kann ich nicht sagen, das erfahren wir Schöffen nicht.

Auch der Anklagepunkt der sexuellen Belästigung wurde durch mehrere Zeugenaussagen bestätigt. Konkret: Der Angeklagte gab einer Gruppe (drei Jungs und einem Mädchen – noch nicht alle volljährig) kostenfrei Drogen. Die Gruppe lehnte ab, kurz darauf kam es zum sexuellen Übergriff auf die junge Frau. Der Angeklagte floh, wurde aber durch zwei der Jungen verfolgt, die im Nachgang auch die Polizei informierten. Auch wenn seit der Tat ein Jahr vergangen ist, konnten sich alle Beteiligten unabhängig voneinander noch sehr gut an den Vorfall erinnern. Das macht die Aussagen nicht nur glaubwürdig, sondern führte das Gericht zu dem Entschluss, dass die sexuelle Belästigung tatsächlich vorgefallen ist.

Die Plädoyers:

Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Entschluss, dass der Angeklagte schuldig sei und forderte eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten ohne Bewährung. Außerdem sollte das sichergestellte Bargeld eingezogen werden, die Haft fortgeführt (der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Verhandlung bereits in Untersuchungshaft) und die Kosten des Verfahrens dem Angeklagten auferlegt werden.
Die Verteidigung sah es größtenteils anders und plädierte für die Aufhebung der Haft, die Rückgabe des Bargelds und die Übernahme der Kosten durch den Staat. Für den einzigen eingeräumten Punkt – die Erschleichung von Leistungen – forderte sie eine Strafe von einem Monat auf Bewährung.
Ein Freispruch in diesem Rahmen klingt vielleicht merkwürdig, doch aus Sicht der Verteidigung war er im Hinblick auf das zu erwartende Urteil eine nachvollziehbare Forderung.

Bevor wir uns zur Urteilsfindung zurückzogen, erhielt der Angeklagte – wie üblich – das letzte Wort. Theoretisch hätte er die Chance, durch ein Geständnis oder ein Wort des Bedauerns vielleicht noch Strafmilderung zu erlangen, aber er blieb bei seiner Aussage, kein Einlenken.

Das Urteil:

Nach kurzer Beratung kam das Gericht (der vorsitzende Richter und wir zwei Schöffen) zu dem klaren Urteil, dass der Angeklagte in allen Anklagepunkten schuldig ist. Die daraus resultierende Freiheitsstrafe beträgt 2 Jahre und 10 Monate. Das sichergestellte Bargeld wurde einbehalten, seine Haft fortgeführt und er hat die Kosten der Verhandlung zu tragen. Da er trotz der erdrückenden Beweislage überhaupt nicht geständig war, wurde lediglich beim Punkt der Erschleichung von Leistungen sein Geständnis strafmildernd berücksichtigt. Ansonsten muss der Angeklagte nun mit dem Urteil leben, da es höchstwahrscheinlich keine Berufung geben wird. Warum wir das wissen? Die Verteidigung teilte dies bereits mit und so wird es im Protokoll aufgeführt. Ob es im Nachgang noch eine Möglichkeit (z. B. schriftlich) zu einer Berufung gibt, kann ich nicht sagen.

Ich persönlich verstehe nicht, wie man so stur sein kann. Wenn die Beweislage erdrückend ist, ist ein (Teil-)Geständnis immer von Vorteil. Diese Sturheit lag übrigens nicht am Anwalt, sondern am Angeklagten selbst. Ein Teilgeständnis hätte evtl. einige Monate weniger Haft bedeutet. Aber gut, man muss nicht alles verstehen, Menschen sind einfach unterschiedlich und nicht jeder folgt der Logik des Gerichts.

In diesem Sinne: Bis zum nächsten Mal aus dem Gerichtssaal.

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