Früher (als ich noch jung war) war ich regelmäßig mit meiner Familie in den Bergen. Einer meiner ersten (und nach wie vor einer der Lieblings-) Urlaubsorte liegt in Tirol kurz hinter Imst, in den Ötztaler Alpen. Im Sommer verweilten wir meist zwei Wochen am Stück, im Winter „nur“ eine Woche – und das immer bei den gleichen Gastgebern. Diese sind jetzt quasi wie meine zweite Familie. Aus diesem Grund kenne ich also einen guten Teil der umliegenden Gipfel. Oberhalb der Baumgrenze (die auf ca. 2000 Metern liegt) fühlte ich mich schon immer wohl und so entstanden viele schöne Erinnerungen.
Einmal, als die ursprünglich geplante Tour auf Grund von heftigen Regenfällen abgebrochen werden musste, saß zum Beispiel ein ausgewachsenes Murmeltier (und was für ein Brummer) mitten auf dem schmalen Pfad und zeigte überhaupt keine Anzeichen, sich zu bewegen und Platz zu machen. Vermutlich war es genauso genervt vom Regen wie wir und es herrschte gegenseitiges Verständnis. Aber die Nerven lagen schon auf beiden Seiten blank. Im Nachhinein kann ich darüber herzhaft lachen.
Eine besonders tolle Erinnerung habe ich zum Aufstieg auf die Hohe Geige im Pitztal. Die Hohe Geige ist ein Berg mit einer Höhe von fast 3400m und liegt auf dem Geigenkamm (einer von Süden nach Norden verlaufenden Bergkette). Wir starteten damals von Plangeroß auf die Rüsselsheimer Hütte (damals hieß sie noch „Neue Chemnitzer Hütte“). Von dort ging es dann weiter über den ursprünglichen Normalweg auf den Gipfel. Soweit eigentlich nichts Besonderes. Doch beim Abstieg entdeckten mein Vater und ich einen interessanten braunen Punkt in einiger Entfernung. Wir beschlossen, diesem zu folgen und ab diesem Zeitpunkt ging es für uns querfeldein. BITTE NICHT NACHMACHEN! Schließlich wurde der Punkt immer größer und entwickelte sich zu einem stattlichen Steinbock. Eine Verfolgung war schlicht unmöglich, da der Steinbock in seinem gewohnten Umfeld natürlich viel schneller war als wir. Zwischenzeitlich stand er auf einem Felsvorsprung und machte deutlich „Freunde, das ist MEIN Revier!“ – ein äußerst imposantes Erscheinungsbild! Mein erster Steinbock in freier Wildbahn – und genau dieses Bild hat sich in meinem Kopf eingebrannt.
Bisher blieb das allerdings auch meine einzige Steinbocksichtung in freier Wildbahn, trotz zahlreicher weiterer Hochtouren. Nun kam das Jahr 2020 inkl. Corona um die Ecke. An Reisen war vorerst nicht zu denken und meine geplanten Bergtouren wurden abgesagt bzw. auf die Nach-Corona-Zeit verschoben. <An dieser Stelle bitte heftige Heulkrämpfe vorstellen.>
Nachdem die Lage etwas ruhiger geworden ist – NEIN, natürlich ist die Pandemie noch lange nicht vorbei – stand jetzt zum ersten Mal wieder eine Pressereise auf dem Programm, bei der ich gerade aufgrund des geplanten Themas total gerne dabei sein wollte. Ihr könnt es Euch vielleicht schon denken, eine „Audienz beim „König der Alpen““, dem Steinbock, war geplant. Ziel der Pressereise war das schöne Pitztal mit seinen herrlichen Bergpanoramen. Berge, Steinböcke und Tiroler Gastlichkeit – wie sollte man dazu „nein“ sagen können!?
Mir war gar nicht bewusst, dass wir mit unserer Steinbocksichtung damals auf der Hohen Geige riesiges Glück hatten, denn der Steinbock war schon fast im ganzen Alpenraum ausgestorben. Mittlerweile ist die Zahl im gesamten Naturpark Kaunergrat aber wieder auf über 1200 Tieren angewachsen. Ausgehend vom Pitztal hat sich die größte Steinwildkolonie der Ostalpen entwickelt. Der Steinbock ist daher nicht umsonst auch das Wappentier des Pitztals. Dazu passend wird in dieser Woche, am 17. Juli 2020, in St. Leonhard das neue Steinbockzentrum eröffnet.
Dieses durften wir bereits vorab erkunden und einen Blick hinter die Kulissen werfen. Die Idee zum Besucherzentrum entstand schon vor einigen Jahren. Ganz in der Nähe fand nämlich vor über 60 Jahren die erste erfolgreiche Wiederansiedlung der Tiere in Tirol statt. Die Umrisse des damaligen Geheges kann man übrigens noch heute erkennen. Tipp: Rund um den Wasserfall Richtung Tiefentalalm die Augen offenhalten! Außerdem wurde der Ort des neuen Steinbockzentrums „am Schrofenhof“ auch aus kultureller Sicht bewusst gewählt. Der Schrofenhof wurde bereits um 1265 urkundlich erwähnt und wird 2021 als weiterer Ausstellungspunkt integriert. Man muss wissen, dass auf den Flächen des Steinbockzentrums ehemals die Scheune des Schrofenhofs stand. Architektonisch wurde das neue Zentrum dementsprechend angepasst, den Architekten ist in einer Bauzeit von ca. 1,5 Jahren eine gute Kombination aus Tradition und Moderne gelungen. Im Inneren befindet sich ein kleines Restaurant und in den oberen Etagen sind Ausstellungsstücke zur regionalen Kultur zu sehen und natürlich gibt es viele Infos rund um das Steinwild zu entdecken. Über eine integrierte Brücke kann man hinaus zum Gehege, in dem es Steinböcke zu sehen gibt, gehen. Aktuell sind es sieben Tiere, die zwar noch etwas schüchtern sind, aber andererseits sehr neugierig umherstreifen. Dies wird sich im Laufe der Zeit sicherlich noch ändern, denn Fressfeinde haben sie keine zu befürchten und normalerweise gewöhnen sie sich schnell an Besucher. Mit der Mischung aus Natur- und Kulturgeschichte ein schönes, interaktives Erlebnis für die ganze Familie. Das Zentrum ist weitgehend barrierefrei erreichbar, inklusive der Fütterungsstelle im Wildtiergehege. Im Laufe der Zeit sollen noch Murmeltiere einquartiert werden und sicherlich noch das ein oder andere mehr. Nach der Eröffnung in dieser Woche wird das Steinbockzentrum mit Sicherheit eine Attraktion im ganzen Pitztal und darüber hinaus. Für mich (Sternzeichen „Steinbock“) ist ein Besuch sowieso Pflicht! 😉
Wer aufgeregt ist, so wie ich es war (weil Steinböcke gesehen), verspürt schnell ein leichtes Hungergefühl. Nach einem kleinen Spaziergang entlang der Pitztaler Ache erwartete uns im Alpenhof ein leckeres Mittagsmenü. Angeführt von „Tiroler Tapas“ (Lammbeuschel, Erdapfelkas, Hirschwangerlkompott und eingelegte Rettiche), gefolgt von einer „Consommé vom Tiroler Steinbock dazu gebackene Steinpilzknödel“ und „Hirschduo in Wacholderbutter gebratenes Steak & knusprig gebackenes Schnitzel serviert mit Preiselbeerjus, Gnocci und Rotkraut“ (es heißt Rotkraut und NICHT Rotkohl bzw. Blaukraut ;)). Freunde des guten Geschmacks – es war traumhaft!
Wenn man schon einmal in den Bergen und solch einer herrlichen Gegend ist, muss man die Zeit einfach nutzen. Ausruhen geht auch zu Hause wieder! Da der Tag noch lang war, „musste“ nach dem Mittagessen noch eine kleine Tour durchgeführt werden. Als Startpunkt diente uns Eggenstall (was zu St. Leonhard gehört) und bei gefühlten 200% Luftfeuchtigkeit ging es vorbei am Pfitschebach Wasserfall (wo das ehemalige Steinbock-Gehege zu finden ist, von dem aus die Wiederverbreitung der Tiere in der Gegend begann) weiter auf die Tiefentalalm. Wettertechnisch waren es dort angekommen gefühlt schon eher 300% Luftfeuchtigkeit, was die gute Laune aber nicht schmälerte. Nach einer kurzen Einkehr und einer wohlverdienten Hopfenkaltschale (der Flüssigkeitshaushalt muss schließlich wieder aufgefüllt werden), ging es zurück zu unserem ursprünglichen Ausgangspunkt, dem Örtchen „Stillebach“, wo wir am frühen Abend wieder im Hotel ankamen. Insgesamt eine sehr schöne Tour von ca. 10km und 600hm im Auf- und 600hm im Abstieg.
Apropos Hotel: Wir übernachteten im Biohotel Stillebach mit ausgezeichneter Küche und super netten Gastgebern (übrigens schon in 4. Generation). Es ist das einzige Biohotel im Pitztal und „Bio“ ist hier nicht nur ein Begriff, sondern eine Lebensphilosophie. So ein Konzept begeistert mich ja immer sehr! Außerdem hat man vom Hotel aus einen Blick auf die Wildspitze, wenn denn das Wetter mitspielt. Am Abend ging es nach einer wohlverdienten Runde Schnaps ins Bett, um am nächsten Morgen das Revier der Steinböcke zu erwandern. Um ehrlich zu sein – und ganz unter uns – ich war schon etwas aufgeregt. Nachdem ich ja vor ca. 22 Jahren in genau dieser Ecke meinen ersten Steinbock in freier Wildbahn gesehen hatte, hoffte ich sehr auf eine Wiederholung. Sicherheitshalber erhöhten wir den Druck auf unseren Guide, Dr. Ernst Partl vom Naturpark Kaunergrat, noch ein wenig: „Wehe, wir bekommen keine zu sehen!“ oder „Wir wollen Böcke, Geißen UND Kitzen sehen!“ erklang es aus unserer Runde. Geplant war ein Aufstieg zur Rüsselsheimer Hütte, die unterhalb der Hohen Geige liegt, um dann weiter zum grandiosen Aussichtpunkt „Gahwinden“ zu gelangen. Startpunkt im Tal war/ist der Wanderparkplatz direkt an der Straße – eigentlich nicht zu verfehlen. Von hier kann man bei guter Sicht bereits die Hütte erkennen. Ab da ging es immer bergauf. Erst etwas steiler, dafür mit toller Aussicht auf das gegenüberliegende Gebiet der Kaunergrathütte und mit Blick auf die „Watze“ (Watzespitze – der höchste Berg des Kaunergrats in den Ötztaler Alpen).
Da dachte ich kurz an meine Tour auf dem Cottbusser Höhenweg auf dem Weg zur Kaunergrathütte bzw. Verpeilspitze, auch ein lohnendes Ziel. Man ( = ich) ist einfach viel zu wenig in den Bergen! Es ging stetig bergauf und irgendwann erreichten wir die Rüsselsheimer Hütte. Nach einer sehr leckeren Rast ging es anschließend nochmals ca. 300hm bergauf bis zu unserem Ziel, den „Gahwinden“. Bisher waren noch keine Steinböcke zu sehen. Was allerdings auch nicht verwunderlich ist, denn sie halten ihren wohlverdienten Mittagsschlaf und sind somit nur schwer zu finden.
Auf 2634m am Gahwinden angekommen hieß es also warten. Und dabei natürlich die wunderbare Natur um uns herum zu bestaunen und gennießen. Von dort oben ist (fast) das ganze Pitztal zu überblicken – vom Taleingang bzw. schon fast Imst, bis ins letzte Eck und gleichzeitig auf den höchsten Berg Tirols, die Wildspitze. Wir machten es uns bequem und warteten. Suchten dabei immer wieder die Hänge nach Steinwild ab und lauschten den spannenden Infos von unserem Guide Ernst. Und irgendwann war es soweit, die Steinböcke kamen Vorschein. Zu Beginn waren es vereinzelte Böcke, aber im Laufe der Zeit wurden es immer mehr und auch ein Rudel Geißen mit Kitzen tauchte auf. Wir konnten ca. 30-40 Tiere zählen. An dieser Stelle bitte Glücksgefühle, etwas Nostalgie und Respekt (vor diesen imposanten Tieren und der Natur) vorstellen. Am besten alles gleichzeitig! Was ein Erlebnis!
Da war sie also, meine zweite Begegnung mit diesen wunderbaren Tieren in freier Wildbahn. Sogar (fast) wieder an gleicher Stelle wie damals. Und mindestens genauso einprägend. Schon faszinierend, wie diese Tiere mit ihren über 100kg und den gewaltigen Hörnern sich in solche einer Umgebung elegant und leicht bewegen können. Ich hätte ewig sitzen können und einfach nur beobachten und bestaunen. Ernst hatte nicht zu viel versprochen, an dieser Stelle ein dickes „Dankeschön“!
Noch ein paar Infos zu den Steinböcken: Zwar sieht ein Bock majestätischer aus, doch eigentlich sind die Mädels die wahren Könner. Allein durch die fehlenden bzw. kurzen Hörner können sie sich viel besser bewegen und sind zwischen den Felsen flinker. Quasi die heimlichen Königinnen der Alpen. Wenn sich der Tag dem Ende neigt, kehren die Tiere zu ihren angestammten Schlafplätzen zurück. Jeder hat seinen eigenen Platz und dieser wird auch nicht von anderen Tieren genutzt bzw. belagert, da sind sie stur. Rangkämpfe zwischen den Böcken finden im Dezember und/oder Januar statt. Sie sind zwar imposant und nicht ohne, aber zu ernsthaften Verletzungen kommt es in der Regel nicht.
Nach gefühlten Stunden (glaube es waren insgesamt 3 Stunden) ging es wieder zurück ins Tal und ich konnte auf dem Rückweg die Eindrücke etwas sacken lassen. Für mich persönlich gehört das unbedingt zu einer (Berg-)Tour dazu. Gemeint ist: Auf dem Rückweg (etwas geschlauchter) den Tag bzw. die Tour Revue passieren zu lassen. Die Abendstimmung eignete sich dazu hervorragend, ein wirklich toller Tag!
Mit einer sehr leckeren Brotzeitplatte (es war schließlich schon nach 21 Uhr und das Küchenteam war im wohlverdienten Feierabend), dem ein oder anderen Schnaps und vielen Gesprächen ließen wir den Abend noch im Hotel ausklingen.
Am nächsten Tag stand noch eine Floßfahrt auf dem Programm. Allerdings nicht irgendeine Floßfahrt, sondern Europas höchste Floßfahrt! Und zwar auf dem Rifflsee – dem größten See in den Ötztaler Alpen. Diese Floßfahrt konnte bei meinem letzte Besuch im Pitztal leider wegen schlechtem Wetter ( = Schneefall) nicht stattfinden. Doch jetzt an diesem Julitag herrschte strahlender Sonnenschein und fast kein Wind. Perfekte Bedingungen, um die Fahrt auf 2232 Metern zu genießen.
Eine Fahrt dauert ca. 45min und der Punkt Genuss kommt nicht zu kurz. In einem Liegestuhl sitzen, langsam über das Gletscherwasser fahren und dabei die herrliche Aussicht genießen hat schon etwas Besonderes. Wem dies noch nicht genug ist, der darf sich auch einmal hinter das Steuer wagen und die ca. 40 Tonnen selbst steuern. Denn man kann neuerdings exklusiv eine Fahrstunde beim Kapitän buchen. Angetrieben wird das Floß übrigens über einen umweltschonenden Elektroantrieb, der das Floß nahezu geräuscharm über den See gleiten lässt.
Ein perfekter Abschluss für ein wunderschönes Wochenende mit vielen großartigen Eindrücken. Und vor allem einem Wiedersehen mit Steinböcken nach 22 Jahren. Ein Ausflugsziel, das ich Euch nur empfehlen kann!
Ein herzliches Dankeschön geht an das ganze Team vom Pitztal, das dieses Erlebnis überhaupt erst ermöglicht hat.
Update 12.11.2020 – die Tour ist jetzt auch auf Komoot zu finden:
Steinbockwanderung über die Rüsselsheimer Hütte zum Gahwinden
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