Es war einmal vor (mittlerweile) langer Zeit, als ich noch im Spessart lebte. Ein kleiner Ort, jeder kennt jeden und den Dialekt verstehen fast nur die Einheimischen. Denn in einem Dorf weiter wird bereits ein etwas anderer Dialekt gesprochen. Die Fenster konnte man getrost gekippt lassen, denn Nachbarn hatten immer ein Auge auf die Umgebung. So ist es (vermutlich) heute auch noch in „meinem“ kleinen Dorf. Und was gibt es im Spessart zuhauf? Holz! Holz war uns schon immer heilig. Also heilig ist vielleicht etwas übertrieben, aber im Spessart gelten beispielsweise noch uralte Holzrechte, das „Spessartrecht“, und viele Bürger besitzen sogar ein eigenes Stückchen Wald. Als Jugendlicher war ich natürlich mit im Wald und half, wenn Holz gemacht wurde. Das passierte immer erst im Winter, um die Natur bzw. die Tiere zu schonen. Und so kam ich bereits früh in Kontakt mit Holz. Bis heute bin ich begeistert von diesem Werkstoff. So begeistert, dass ich damals eine Ausbildung zum Schreiner (norddeutsch: Tischler) gemacht habe und mich seither Schreinergeselle schimpfen darf.
Was mich damals dazu bewogen hat, war die Liebe zum Werkstoff Holz, aber auch die Möglichkeit, meine Kreativität auszuleben. Holz ist ein relativ leicht zu bearbeitender Werkstoff und ich bin heute noch dankbar, dass mir die Vorgesetzten und Berufschullehrern viele Freiheiten ließen. Ob es an der CNC-Fräse war oder beim Fertigen des Gesellenstücks – ich durfte quasi alles machen, was mir in den Sinn kam. Woran ich mich noch gut erinnere, ist ein Auftrag unserer Firma für den Bau eines Messestandes, der anschließend nach Japan übersendet wurde. An die Details kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber es war eine Einzelanfertigung und sehr detailliert ausgearbeitet. Tetris-Fähigkeiten zahlten sich damals schon aus, denn der 40 Fuß (12,192m) große Überseecontainer bzw. Schiffscontainer wurde bis unter die Decke beladen. Ein paar Wochen später ging es auf die Reise nach Japan, das war schon eine Ehre für mich als Azubi.
Eine schöne Erinnerung. Was mir im Zusammenhang mit der Schreinertätigkeit besonders im Kopf geblieben ist, ist die japanische Handwerkskunst. Als Schreiner nutzen wir unterschiedlichste Werkzeuge, die natürlich nicht mit dem günstigen Handwerkszeug aus dem Baumarkt zu vergleichen sind. Ein Schreiner arbeitet im Bereich von Millimetern und somit wird gutes, scharfes und langlebiges Werkzeug benötigt. Als Beispiel nehmen wir eine Fingerzinkung. Die lässt sich auch maschinell fertigen …sieht aber auch dementsprechend aus. Im klassischen Stil wird eine Fingerzinkung mit einer scharfen „Japansäge“ und einem Stechbeitel durchgeführt. Die Form der Sägen ist unterschiedlich, aber meistens handelt es sich dabei um ein sehr dünnes Sägeblatt mit Zähnen in leichter Keilform. Diese sollten perfekt geschliffen sein und dementsprechend sehr scharf. Die Stechbeitel wurden übrigens immer per Hand geschärft und als Qualitätsmerkmal zur Schärfe mussten die Haare auf der Handoberfläche dran glauben.
Bei den ganz ursprünglichen Japansägen kommt die traditionelle, herausragende japanische Schmiedekunst zum Tragen. Die ihren Höhepunkt in der Fertigung von Samurai-Schwertern findet. In der japanischen Region Setouchi im Südwesten des Landes wird genau diese Tradition großgeschrieben.
Die Setouchi-Region formt das größte Binnenmeer in Japan, umgeben von den Präfekturen Hyogo, Okayama, Hiroshima, Yamaguchi, Tokushima, Kagawa und Ehime. Eine wunderschöne Seenlandschaft und äußerst vielfältige Gegend, in der man z.B. vier Weltkulturerben findet, 275 Sake-Brauereien (hehe) und mit 900.000 Hektar den ersten offiziell ausgewiesenen Nationalpark Japans, wobei bei der Größenordnung von einem „Park“ zu sprechen ja schon etwas untertrieben ist. Das Gebiet hat darüber hinaus einen jahrtausendalten Ruf für die Herstellung der besten Klingen Japans.
Vor Ort, genauer gesagt in der Präfektur Okayama, befindet sich ein Schwertmuseum namens Bizen Osafune. Dort sind Schwerter (Katana) aus einem Zeitraum von über 1000 Jahren ausgestellt. Ein Katana war eigentlich immer schon eine Mischung aus Waffe und Kunstwerk. So kann man in den zugehörigen Werkstätten des Museums dem Schmiedeprozess beiwohnen, quasi von den Rohstoffen Eisenerz, Holzkohle (aus der regionalen Rotkiefer) und Wasser, die alle zur Genüge in Setouchi zu finden sind, bis hin zur Klinge. Alleine die Herstellung eines Katana dauert Tage, wenn nicht sogar Wochen. Außerdem können nur Handwerker, die eine Prüfung der Japanischen Agentur für kulturelle Angelegenheiten bestanden haben, in Japan zu Schwertschmieden werden – und selbst dann können Schwertschmiede höchstens 24 Schwerter pro Jahr herstellen, da die Vorschriften verlangen, dass jedes traditionelle Katana 15 Tage aktive Arbeit in Anspruch nimmt. Eine Handwerkskunst, die bis heute fortgeführt wird, die berühmten Bizen Katanas kann man nach wie vor käuflich erwerben.
Aber nicht nur die Herstellung gehört zum traditionellen Handwerk, sondern auch die Kunst des Schärfens. Da muss ich automatisch wieder an das Schärfen unserer Stechbeitel denken. Wobei Katanaklingen mit Sicherheit wieder ganz andere Bewegungen benötigen als der klassische Stechbeitel. Zum Vergleich: Unsere Stechbeitel waren maschinell bereits vorgeschliffen und wir mussten damals „nur“ noch den Feinschliff per Hand tätigen. Dies dauerte zwischen 30 Minuten und manchmal auch eine Stunde bis Zufriedenheit herrschte. Für eine (Katana)klinge wird hingegen eine Dauer von ca. 120 Stunden (!) gerechnet – von der Rohklinge inkl. Schärfens. Aber das ist noch nicht alles, denn die Klinge muss noch eingefasst werden. Traditionell geschieht das auch in Handarbeit. Magnolienholz hat dafür die richtigen Eigenschaften: Optisch zurückhaltend, dafür hart und gut zu verarbeiten. Neben der Härte spielt(e) die gute Verarbeitung eine wichtige Rolle. In der Regel werden die Griffe noch mit verschiedenen Verzierungen und Gravuren versehen, früher schon Symbole für Reichtum und Rang. So kommen in einem Katana verschiedene Handwerke zusammen.
Sollte es mich einmal nach Japan verschlagen – was ich sehr hoffe – dann ist ein Besuch in diesem Museum Pflicht!
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Was für eine wunderschöne Erinnerung an das Leben im Spessart! Es ist faszinierend, wie stark die Verbundenheit zur Natur und zu den Traditionen in Ihrer Erzählung zum Ausdruck kommt. Die Beschreibung der Holzrechte und der gemeinsamen Arbeit im Wald zeigt eine tief verwurzelte Gemeinschaft. Wie hat Ihre Ausbildung zum Schreiner Ihre Perspektive auf Holz und die Natur weiter beeinflusst?